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50 Jahre danach
Wozu beschäftigen wir uns mit der Vergangenheit? Nachdem das Richten und Verurteilen für uns Christen entfällt, kann es dafür nur einen Grund geben: Um aus ihr zu lernen. Und nur ganz oberflächliche Beobachter können sagen: So etwas wie 1938 könnte uns heute nicht passieren! Denn die Grundeinsteilung der Menschen, die das alles ermöglichte, blieb dieselbe. Man kann sie im Wesentlichen mit zwei Sätzen beschreiben:
Konzentrationslager Dachau Einmal anders gesehen Als wir "Systemgegner" nach wochenlanger Haft in der Nacht des 23.Mai von der SS mit Gewehrkolben in den Schnellzug getrieben wurden, war uns klar, daß dieses Rollkommando uns ins Lager Dachau bringen sollte. Gleich nach der Abfahrt lernten wir die Methoden kennen, mit denen jeglicher freier Wille ertötet wurde. Alles, was im alten Österreich wirklich Rang und Namen hatte, war in Dachau versammelt, so daß Grillparzer über das Lager geschrieben hätte: "In deinem Lager ist Österreich." War schon durch die 'Gewalttaten bei der Einlieferungsfahrt die Angst vor dem gewaltsamen Sterben vorherrschend, so war man im Lager selbst bald darauf bedacht, sich gegenseitig zu trösten und aufzurichten. Die wenigen freien Stunden gaben Gelegenheit, sich Mut zuzusprechen und das quälende Heimweh zu überwinden, da nur alle 14 Tage ein einziger Brief gestattet war. Die Kameradschaft untereinander sorgte auch dafür, daß man bald in bessere Arbeit kam, die natürlich nicht dauernd war. Aber kein Tag verging, an dem man nicht neue Gewalttaten mit ansehen oder selbst erleben mußte. Während die Blutfahnen über allen "Gauen" wehten und helle Begeisterung auslösten, bekamen gerade wir die ganze nackte Brutalität des Terrors zu spüren. Seelische Einsamkeit umfing uns. Losgelöst von allem, was uns daheim teuer war und als höchster Lebenszweck galt, wie Familie, Stellung, Besitz und Vermögen, waren wir jetzt alle gleichgeschaltet im blaugestreiften Gewande. Nur mehr der Charakter wog. Es schieden sich Helden von jämmerlichen Kreaturen; die gerade genug waren, der SS als Henkersknechte zu dienen. In den meisten aber ging eine innere Umwandlung vorsiech, die neue Menschen formte, wetterhart und kompromisslos wie die Wettertannen im eisigen Sturmwind. Bald, ja sehr bald wurde uns klar, daß es ein infernalischer Haß war, der die Schergen von der SS antrieb, aus Österreich alle Spuren von Religion zu entfernen. Wir erkannten nur zu bald, mit welchen Mitteln auch den Neugeworbenen SS-Leuten aus unserem Lande der Glaube aus dem Herzen gerissen wurde. Wurden doch gleich am Anfange alle mitgebrachten Gebetbücher und Rosenkränze feierlich am Appellplatze verbrannt, und manchem der so begeisterten SS-Kandidaten gab es einen Riß, als er sah, daß er sich nun trennen mußte von allem Heiligen, das ihm die Mutter auf den Weg gegeben hatte. Uns aber im Lager erging es wie einem Kinde, dessen Mutter auf das schimpflichste geschmäht wurde, wir klammerten uns um so enger an unsere Mutter und, selbst in der Trostlosigkeit begraben, hatten wir noch immer Mitleid mit der Mutter der Schmerzen, die alles Leid vor uns getragen hatte. Immer mehr gingen uns die Augen auf für den Kreuzweg, das wir nun in modernster Form erleben mußten sei es, daß man mit den rückwärts gebundenen Händen eine Stunde am Baume baumelte und die Leiden des Kreuzes erlebte, sei es, daß bittere Ölbergstunden die Seele umnachteten und die Seele in der vollständigen Verlassenheit Trost bei Gott suchte - und auch fand. Es mag wohl als eines der schönsten Erlebnisse in dieser Zeit gelten, daß die Verheißung Christi vor 2000 Jahren kein toter Buchstabe ist: "Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, denn ihrer ist das Himmelreich." Wer kann das Glücksgefühl schildern, das oft unsere Seele erfüllte, wenn wir dran dachten, daß alle unsere Leiden unserer Ein besonderes Kapitel bildete wirklich die Muttergottes. In langen Jahrhunderten blieb sie stets unberührt vom Hasse, der die Kirche verfolgte, aber diesmal war gerade sie dem gemeinsten Geifer preisgegeben. Sie, die strahlend Reine, sollte dem deutschen Volke entrissen und als Jüdin verfehmt werden. Auf einem Malergerüst stehend konnte ich drei Stunden lang eine Diskussion zwischen einem SS-Blockführer und Pfarrer Spanlang anhören, während der Maria in der unfaßbarsten Weise geschmäht und von Pfarrer Spanlang heiß, aber vergeblich verteidigt wurde. Da gingen mir erst richtig die Augen auf, um was es eigentlich dem Nationalsozialismus geht, mit welch schimpflichen Mitteln unsere Religion ausgerottet werden sollte. Da sah man in Abgründe von Gotteshaß. Man hätte selbst ein Herz aus Stein haben müssen, wenn man sich nicht der Heiligsten, unserer Mutter, erbarmt hätte. Und gerade Pfarrer Spanlang sollte ausgezeichnet werden, wie Christus gekreuzigt zu werden. Vorher aber mußte er, der stets seinen Glauben so feurig verteidigt hatte, noch eine Predigt für die lüsterne SS halten. Er wählte sich das "Vater unser", bei dem er allen seinen Feinden vor dem Tode verzieh. Solche Opfer und soviel Gebet waren groß vor dem Herrn. Und wenn uns auch der Umgang mit Priestern bis auf einen verwehrt war - sie waren alle in der Isolierung unter den Schwerstleidenden - so bahnte doch diese innige Verbindung mit der Oberwelt den großen Plan der Vorsehung an, der wie ein Wunder wirkte, dass nämlich gerade nach Dachau ins Lager die Geistlichen anderer Lager konzentriert wurden, sodaß gut 2000 Priester im armen KZ-Gewande uns gleich wurden. Ausgesetzt allen dämonischen Haßausbrüchen der SS und hingemordet durch die Versuchsanstalten, schrumpften auch die Priester zusammen, aber auch dieses Opfer und das viele Gebet dieser Apostel erwirkte wieder die große unbegreifliche Gnade, daß ihnen eine Kapelle gestattet wurde, dass das hl. Meßopfer und der Welterlöser selbst ins Lager seiner Vernichtung herabstieg und als KZ-ler bis ans Ende von Dachau mitten unter den Schwerstgeprüften gegenwärtig blieb. Von hier aus opferte er sich und alle Leiden der Millionen, die in den Konzentrationslagern aller Länder schmachteten, dem himmlischen Vater auf und vereinte sein Gebet mit den Klageschreien der zu Tode Gequälten. Er wollte und mußte dabei sein, wo seine Ebenbilder wie er ein ecce homo wurden. Gleichzeitig sprach er zu einer Opferseele die herrlichen Wenn das religiöse Leben hinter Stacheldraht geschildert werden soll, so sei nicht der kirchlichen Feste vergessen. Zu Weihnachten 1938 noch versammelten sich im Museum einige Österreicher heimlich zur Mette und lasen das so trostreiche Evangelium, woran sich eine Predigt des Geistlichen anschloß. Zu Ostern aßen wir geweihte Eier. Unzählig sind wohl die Beichten, welche die Priester hörten. Heimlich wurden die heiligen Hostien auch den Sterbenden gereicht. So strömte ein großer Segen nicht nur in die Seelen, sondern auch auf die ganze Heimat, der unser Beten galt. Wenn auch vom Kriege schwer getroffen, so wurde sie am Ende doch so auffallend verschont und gerade an Tagen befreit, die uns als besondere Gnadentage bekannt sind, wie Herz-Jesu-Freitag oder der 13. des Monats oder Samstag. Man muß wirklich in einem Konzentrationslager gewesen sein, um hinter die Geheimnisse des ganzen Nazisystems zu kommen, wie alles nur auf Lug und Trug aufgebaut war und alles nur dem einen Zwecke diente, den Menschen zu entseelen und ihn zum willenlosen Werkzeug von Tyrannen zu machen. Es gab nur einen Gegner, der zu fürchten war, das war Gott und sein Wirken im Menschen, darum wurde Gott gelästert und alles was heilig war, aber auch der Mensch in einem Ausmaße vernichtet, wie es noch nie auf der Welt geschehen war, galt es doch der Hölle, alles Leben auszulöschen, das ihr nicht diente. Darum genügt ja auch der bloße Verdacht einer Gegnerschaft, um sofort in ein Konzentrationslager zu kommen und dort mit oder ohne Qualen vernichtet zu werden. Aber jedes Sterben bringt neues Leben, und so wuchs ein neuer Glaube, neue Liebe, neue innige Gottverbundenheit an der Stätte der Tag und Nacht rauchenden Krematorien. Als es zu Ende ging mit aller Nazi- und SS-Tyrannei, da zitterten wir früher Heimgekehrten um das Leben der dortigen Kameraden und verdichteten unser Gebet für sie. Wir Eingeweihte wußten ja um die dunklen Pläne dieser Schergen, daß nämlich alle noch vernichtet werden sollten. Aber was wir uns schon 1938 nie erträumen konnten, das Wunder geschah: Das Lager wurde nicht verteidigt und nicht gesprengt. Amerikaner, die es befreiten, geboten den am Appellplatz Versammelten Ruhe. Einer nahm seine Mütze ab und hieß alle Gott zu danken für die geglückte Befreiung. Am nächsten Tage schon war ein zehn Meter hohes Kreuz als Siegeszeichen errichtet. Umkränzt von den Fahnen aller Nationen feierte der Sieger über allen Tod und Haß am Altare wieder das Liebesopfer als Sühne für alle Verbrechen, die zwölf Jahre lang an dieser Stätte begangen wurden. Gibt es einen herrlicheren Triumph des Kreuzes, das nun immer in Dachau prangen wird? Die Priester, die auf dem Todesmarsch ins Otztal nach Bad Tölz abgedrängt wurden, hatten sich den Heiland versteckt mitgenommen, wohl die eindrucksvollste Fronleichnamsprozession, die durch deutsche Lande gezogen ist. Keiner der Priester ging verloren, wunderbar erreichten alle ihre Heimat. . So ist Dachau für jeden ein inneres Erleben geworden, das keiner mehr missen möchte, aber auch ein Wahrzeichen für unsere Heimat, dass diese Verinnerlichung Volksgut werden soll, damit Glaube und Heimat wieder zu den höchsten Gütern zählen, die ein Volk besitzt.
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